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Titel
Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration


Autor(en)
Malinowski, Stephan
Erschienen
München 2021: Propyläen Verlag
Anzahl Seiten
752 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eckart Conze, Seminar für Neuere Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Die Debatte über die Entschädigungs- und Rückgabeansprüche der Familie von Preußen, vulgo des „Hauses Hohenzollern“, entwickelte sich seit 2014 zunächst langsam und nicht im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Erst nach fünf Jahren, 2019, dynamisierte sie sich. Damals publizierten zum einen wichtige Medien Details über die bis dahin klandestin geführten Verhandlungen zwischen der Familie und den Regierungen des Bundes sowie der Länder Berlin und Brandenburg. Zum anderen widmete der TV-Satiriker Jan Böhmermann dem Thema nicht nur eine ganze Folge seiner ZDF-Sendung Neo Royale, sondern er veröffentlichte auch vier Gutachten, die im Zusammenhang mit der juristischen Auseinandersetzung über eine mögliche Entschädigung oder Restitution von der Familie von Preußen sowie vom Land Brandenburg in Auftrag gegeben worden waren.1

Im Zentrum der Debatte stand von Anfang an der in Edinburgh lehrende Historiker Stephan Malinowski. Dieser ist nicht nur einer der führenden Experten zur Zeitgeschichte des deutschen Adels2, sondern hatte auch aufgrund dieser Qualifikation eines der erwähnten Gutachten verfasst. Schon früh hatte er sich öffentlich zu der für eventuelle Ansprüche der Familie von Preußen entscheidenden Frage geäußert, ob nämlich der nach 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone enteignete ehemalige „Kronprinz“ Wilhelm von Preußen (1882–1951), der Sohn des letzten Kaisers, dem Nationalsozialismus „erheblichen Vorschub“ geleistet habe. Sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich ist Georg Friedrich Prinz von Preußen, der in der Familie eine als „Chef des Hauses“ bezeichnete Sprecherrolle einnimmt, über seine Anwälte gegen Malinowski vorgegangen. Die juristische Kampagne der Familie von Preußen, die später weit über hundert Klagen oder Unterlassungsaufforderungen gegen kritische Wissenschaftler, Journalisten oder Politiker anstrengte, richtete sich zunächst und in besonderer Intensität gegen Malinowski.

Über Jahre unter immensem juristischen Druck und zugleich wichtige Stimme in einer geschichtspolitischen Debatte, die ein Echo weit über Deutschland hinaus erzeugte, ist es bemerkenswert, ja eigentlich kaum zu glauben, dass es Stephan Malinowski gelungen ist, parallel dazu ein Buch über Die Hohenzollern und die Nazis zu schreiben, das weit mehr als einen Debattenbeitrag darstellt. Das mit dem Deutschen Sachbuchpreis 2022 ausgezeichnete Werk ist weit über die Frage nach dem „Vorschubleisten“ des ehemaligen „Kronprinzen“ hinaus ein genuiner Forschungsbeitrag, der mindestens der Forschung zur Geschichte des ehemaligen Adels in Deutschland im 20. Jahrhundert, insbesondere der einstmals regierenden hochadeligen Dynastien, aber auch der zeithistorischen Konservatismusforschung sowie einer Reihe anderer Forschungsfelder wichtige neue Impulse gibt. Zu diesen Forschungsfeldern gehört beispielsweise die Geschichte Preußens beziehungsweise der Wahrnehmung Preußens und seiner Geschichte, die fraglos neue und kritische Perspektiven jenseits ahistorischer Leistungsbilanzen und kontextfreier Hinweise auf historische Verdienste der Hohenzollern gut brauchen kann. Es wird daher höchste Zeit, Malinowskis glänzend geschriebene Studie über die erschöpfend diskutierte Frage nach der Rolle von „Kronprinz“ Wilhelm hinaus zu würdigen, die zwar bei Erscheinen des Buches aus guten Gründen im Zentrum des öffentlichen Interesses stand, in der die geschichtswissenschaftliche Bedeutung der Untersuchung jedoch nicht aufgeht.

Das Buch ist, wenn man es als biographische Studie liest, fraglos konzentriert auf den „Kronprinzen“ und leuchtet dessen politisches Denken und Handeln in der Zeit nach 1918 so umfassend, präzise und quellenbasiert aus wie bislang keine andere Untersuchung. Dass es Malinowski, um es zurückhaltend zu formulieren, nicht möglich war, das private Archiv der Familie von Preußen zu besuchen, beeinträchtigt den Aussagewert der Untersuchung nicht. Die von Georg Friedrich Prinz von Preußen in Auftrag gegebene und fast zeitgleich mit Malinowskis Buch erschienene Arbeit von Lothar Machtan, der über den Zugang zum Privatarchiv verfügte, wartet nicht mit Quellenfunden auf, die geeignet wären, Malinowskis Thesen- und Urteilsbildung auch nur in Frage zu stellen.3 Und auch die jüngst von der Familie von Preußen, erneut unter Beteiligung Machtans, auf die Website https://www.preussen.de gestellten Dokumente (insgesamt 1.500 Schriftstücke, davon 71 aus dem Familienarchiv) lassen kein neues Licht auf den „Kronprinzen“ oder irgendein anderes Mitglied seiner Familie fallen.4 Die Bedeutung des Familienarchivs, das wird man heute sagen können, ist jahrelang von der Familie selbst und ihrem Umfeld – böse könnte man vom akademischen Garde-Regiment zu Fuß sprechen – überbewertet worden, in erster Linie wohl um Autoren und Untersuchungen, denen es verwehrt blieb, dieses Archiv einzubeziehen, diskreditieren zu können.

Über „Kronprinz“ Wilhelm hinaus aber widmet sich Malinowskis Buch insgesamt drei Generationen von „Hohenzollern“, zu denen der ehemalige Kaiser Wilhelm II. im niederländischen Exil bis zu seinem Tod 1941 ebenso gehört wie dessen Enkel Louis Ferdinand Prinz von Preußen (1907–1994), der nach dem Tod seines Vaters, des „Kronprinzen“, 1951 „Chef des Hauses“ wurde. Über diese drei Hauptprotagonisten und eine Reihe von Nebendarstellern der verschiedenen Generationen gelangt die Geschichte der Familie von Preußen durch das gesamte 20. Jahrhundert in den Blick, und die 1994 noch von Louis Ferdinand von Preußen erhobenen Entschädigungs- und Rückgabeforderungen verbinden diese Geschichte mit der „Hohenzollern-Debatte“ der letzten Jahre. Louis Ferdinand von Preußen verdient nicht nur deswegen das Interesse von Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit, weil in jüngster Zeit Bemühungen seiner Familie zu registrieren sind, ihn aus dem Schatten seines NS-belasteten und zunehmend aus der Familientradition entfernten Vaters hervortreten zu lassen und ihn als demokratisch und damit für die Gegenwart anschlussfähige Figur darzustellen: durch eine ihm zugeschriebene Nähe zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus sowie durch die ihm attestierte Rolle, das preußisch-dynastische Erbe der Familie nach 1945 in der Bundesrepublik gleichsam demokratisiert zu haben.

Gerade in diesem Zusammenhang bildet die Forschung Malinowskis ein wichtiges Korrektiv, weil sie empirisch fundiert darlegt, wie nach 1945 nicht nur in der Familie, sondern auch in borussophilen, hohenzollernaffinen und nationalkonservativen Kreisen ein bestimmtes Bild Louis Ferdinands von Preußen konstruiert wurde. Dieser habe den Nationalsozialismus schon früh als Übel erkannt, habe deshalb dem Widerstand „nahegestanden“ und sich schließlich ohne Wenn und Aber zur bundesrepublikanischen Demokratie bekannt. Diese Legendenbildung machte Louis Ferdinand von Preußen zum Spitzenrepräsentanten einer angeblichen Metamorphose, die ihn mit vielen anderen Vertretern eines preußisch-deutschen sowohl schwarz-weiß-roten als auch schwarz-weißen Konservatismus verband. Was ihn in dieser Gruppe herausragen ließ, war seine monarchisch-dynastische Qualität, seine Rolle als imaginierter Monarch. Was Malinowski hier andeutet, weist deutlich über den zumindest in Ansätzen untersuchten politischen Monarchismus in der jungen Bundesrepublik hinaus, und markiert ein Forschungsfeld für eine politische Kulturgeschichte, die nach Spuren und Wirkungen des Monarchischen in der Demokratie fragt und in der es um Geschichtsbilder, politische Ideenwelten und elitäre Selbstkonzeptionen in ihrer Verflechtung geht.

Was den letzten Kaiser, den „Kronprinzen“ und seinen Sohn, geboren 1859, 1882 und 1907, jenseits des „Blutes“ verband – und das bildet in seiner generationsübergreifenden polit-biographischen Perspektive den verbindenden analytischen Fokus des Buches –, war die Tatsache, dass, wenn auch auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlicher, aber sich wechselseitig verstärkender Wirkung, alle drei Protagonisten (als Repräsentanten ihrer jeweiligen Generationen) im Jahr 1933 für die nationalsozialistische Diktatur warben. Diese Verbindung bildet den historischen Ausgangspunkt des Buches. Gerade in diesem Zusammenhang identifiziert die Untersuchung auch eine, wenn nicht die entscheidende Grundlage ihrer individuellen wie kollektiven, persönlichen wie symbolischen Wirkungsmacht: ein monarchisch bestimmtes und zugleich dadurch verstärktes Charisma, dessen Wirkung aber nicht primär über die drei „Hohenzollern“ und deren charismatische Qualitäten erklärt wird, sondern im Sinne Max Webers mindestens ebenso sehr, wenn nicht stärker, über das charisma-empfängliche Publikum mit seinen gerade nach 1918 und in der Dauerkrise der Weimarer Republik enormen emotionalen Bindungen und Hoffnungen sowie der daraus resultierenden Aufmerksamkeit für das ehemalige Kaiser- und Königshaus, die seinen Repräsentanten einen kaum zu überschätzenden politischen Einfluss verschaffte.

Für die Popularität des NS-Regimes gerade in seiner Frühzeit waren diese Emotionen und diese Aufmerksamkeit von kaum zu überschätzender Bedeutung, nicht zuletzt durch die Übertragung von Emotionen auf das NS-Regime, die durch die Symbolpolitik der „Hohenzollern“, den gerade in seiner Symbolik politisch wirksamen Schulterschluss, legitimiert wurde. Diese Übertragung und Zurverfügungstellung von Charisma war Teil jener Kollaboration, als die Malinowski das Verhältnis zwischen den „Hohenzollern“ und den Nationalsozialisten insgesamt fasst. Das ist zugleich ein begrifflicher Vorschlag, der über das Verhalten der „Hohenzollern“ deutlich hinausgeht, weil er aus der Perspektive des Hochadels und vor allem der ehemals in Deutschland regierenden Dynastien die Frage nach den Motiven und der konkreten Ausformung auch der Bündnisse ganz anderer Gruppen mit dem Nationalsozialismus – Malinowski spricht vom „Warum“ und vom „Wie“ – neu stellt.

Es sind solche Aspekte und Argumente, hier nur exemplarisch präsentiert, die das Thema des Buches aus der juristisch determinierten, verengten und daher für Historiker:innen analytisch unergiebigen Sphäre des „Vorschubleistens“ zurückholen in die historische Forschung. Weit über die nun allmählich abflauende Debatte über die Forderungen der „Hohenzollern“ hinaus, die sich als Fortsetzung einer mittlerweile über einhundertjährigen Kommunikation zwischen der Familie von Preußen und der Öffentlichkeit fassen lässt und entsprechend analysiert werden wird5, öffnet das Buch neue Forschungshorizonte. Dass der Schatten des alten Adels und der 1918 gestürzten Monarchien bis in unsere Gegenwart reicht, ist nur einer dieser Horizonte. Von der historischen Bühne gefegt, ist das Adelstheater augenscheinlich noch lange nicht zu Ende.

Anmerkungen:
1 Die Gutachten und die Folge von Neo Royale sind abrufbar unter: http://hohenzollern.lol/ (31.03.2023).
2 Stephan Malinowski, Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, Berlin 2003.
3 Lothar Machtan, Der Kronprinz und die Nazis. Hohenzollerns blinder Fleck, Berlin 2021.
4https://www.preussen.de/quellen-zur-politischen-biografie-des-letzten-deutschen-kronprinzen-unter-besonderer-beruecksichtigung-der-1930er-jahre/ (26.03.2023).
5 Vgl. beispielsweise bereits Martin Sabrow, Die Hohenzollernauseinandersetzung – oder: Erkenntnis und Evidenz im Streit der Fakultäten, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 70 (2022), S. 729–743, oder: Peter Steinbach, Cum ira et studio? Hohenzollerndebatte – eine Stil- und Argumentationskritik, in: Neue Politische Literatur 68 (2023), S. 31–63, https://doi.org/10.1007/s42520-023-00473-y (26.03.2023).

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